Ohrenschmalz entlarvt Krebs! – So kann Ihr Ohr Sie retten
Es sieht eklig aus, doch es könnte Leben retten: Forscher entdecken, dass unser Ohrenschmalz frühe Hinweise auf Krebs, Alzheimer und andere Krankheiten liefern kann.

Ohrenschmalz – medizinisch Cerumen – ist ein Sekret, das oft nur als lästiges Übel wahrgenommen wird. Dabei entwickelt es sich zunehmend zu einem hochinteressanten Forschungsfeld der Medizin.
Neue wissenschaftliche Studien zeigen, dass die klebrige Substanz wertvolle Hinweise auf den Gesundheitszustand eines Menschen liefern kann – von Stoffwechselstörungen über Infektionen bis hin zu Krebs und neurodegenerativen Erkrankungen.
Wie entsteht Cerumen und was steckt darin?
Cerumen entsteht durch die Mischung von Sekreten der ceruminösen und sebaceösen Drüsen im äußeren Gehörgang.
Neben seiner bekannten Schutzfunktion – das Einfangen von Schmutz, Keimen und sogar Insekten – ist es ein bislang unterschätzter Speicher biochemischer Informationen.
Der besondere Vorteil: Im Gegensatz zu Blut oder Urin, die sich ständig erneuern, baut sich Ohrenschmalz nur langsam ab. Dadurch kann es langfristige Veränderungen im Stoffwechsel abbilden und speichern – wie eine Art biologisches Archiv.
Die Immunfunktion des Cerumens: Natürlicher Schutzschild
Wissenschaftler fanden heraus, dass Cerumen reich an antimikrobiellen Substanzen ist, darunter Beta-Defensine, Lysozym, Lactoferrin und MUC1. Diese Stoffe machen das Ohrenschmalz zu einer aktiven Barriere gegen Krankheitserreger.
Damit erfüllt es eine wichtige Rolle in der angeborenen Immunabwehr – ein Aspekt, den eine Studie um Mechthild Stoeckelhuber mithilfe von histochemischen und ultrastrukturellen Analysen bestätigte.
Auch das Zytoskelett der Drüsenzellen wurde analysiert, was neue Einblicke in den Sekretionsmechanismus lieferte.
Das Cerumenogramm: Eine Revolution in der Krebsdiagnostik
Besonders bahnbrechend ist die Arbeit des brasilianischen Chemikers Nelson Roberto Antoniosi Filho, der mit seinem Team den „Cerumenogramm“ entwickelte. Dabei werden flüchtige organische Verbindungen (VOCs) im Ohrenschmalz analysiert.
In einer Studie mit 102 Teilnehmern – darunter 52 Krebspatienten – konnten 27 VOCs identifiziert werden, die als „biochemischer Fingerabdruck“ für Krebs dienen.
Frühwarnsystem für Krebsvorstufen und mehr
Das Cerumenogramm erlaubt nicht nur die Erkennung bestehender Krebserkrankungen, sondern auch präkreböser Veränderungen, bei denen der Stoffwechsel bereits entgleist ist. Das eröffnet neue Möglichkeiten für die Prävention.
Auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Typ-2-Diabetes und Infektionen wie Covid-19 hinterlassen messbare Spuren im Cerumen. So könnte ein einfacher Abstrich künftig viele kostspielige und invasive Tests ergänzen oder sogar ersetzen.
Neue Hoffnung bei neurodegenerativen Erkrankungen
Auch bei Alzheimer und Parkinson könnte Ohrenschmalz künftig zur Früherkennung beitragen. Erste Forschungen zeigen, dass sich typische Stoffwechselveränderungen auch im Cerumen niederschlagen.
Da viele dieser Krankheiten schwer frühzeitig zu diagnostizieren sind, könnte dies ein echter Meilenstein sein. Ein langfristiges Ziel ist, auch Frühstadien zu erfassen, bevor neuronale Schäden irreversibel werden.
Diagnose der Ménière-Krankheit durch Fettsäureanalyse
Bei der bislang schwer diagnostizierbaren Ménière-Krankheit entdeckten Forscher veränderte Konzentrationen von drei Fettsäuren im Ohrenschmalz.
Diese Erkenntnis könnte künftig die Diagnose deutlich vereinfachen und beschleunigen – ein wichtiger Schritt für Betroffene, die oft jahrelang auf eine eindeutige Diagnose warten müssen.
Von der Forschung in die Praxis: Cerumen als Routine-Test?
In Brasilien wird das Cerumenogramm bereits in einem Krankenhaus zur Krebsüberwachung eingesetzt.
Das Ziel: ein einfacher, günstiger und schmerzfreier Gesundheitstest – aus dem Ohr. Die Vision ist, regelmäßig alle sechs Monate einen Cerumen-Test durchzuführen, ähnlich wie eine Routine-Blutuntersuchung.

Warum Cerumen als Diagnostikum so vielversprechend ist
Die lipidreiche Zusammensetzung des Cerumens macht es besonders geeignet, um frühe Stoffwechselveränderungen zu erkennen.
Lipide reagieren besonders empfindlich auf Veränderungen im Zellstoffwechsel – oft früher als wasserlösliche Stoffe im Blut.
Damit liefert das Ohrenschmalz ein umfassenderes Bild des biochemischen Status als viele klassische Körperflüssigkeiten.
Quelle
Stoeckelhuber, M., Matthias, C., Andratschke, M., Stoeckelhuber, B. M., Koehler, C., Herzmann, S., Sulz, A., & Welsch, U. (2006). Human ceruminous gland: Ultrastructure and histochemical analysis of antimicrobial and cytoskeletal components. The Anatomical Record Part A: Discoveries in Molecular, Cellular, and Evolutionary Biology, 288(8), 877–884.