Darum essen und trinken wir: Neue Studie zeigt, wie unser Gehirn Hunger- und Durstgefühle steuert

Um genügend Nährstoffe und Flüssigkeit zu sich zu nehmen, muss das Gehirn die Signale des Körpers richtig auswerten. Eine neue Studie zeigt nun, dass spezielle Zellen an der Regulierung von Hunger und Durst beteiligt sind.

Spezialisierte Durst- und Hunger-Nervenzellen in der Amygdala beeinflussen über verschiedene Schaltkreise das Verlangen nach Essen oder Trinken
Spezialisierte Durst- und Hunger-Nervenzellen in der Amygdala beeinflussen über verschiedene Schaltkreise das Verlangen nach Essen oder Trinken. Bild: MPI für biologische Intelligenz/Julia Kuhl

Damit der menschliche Körper ausreichend Kalorien und Flüssigkeit zu sich nimmt, muss das Gehirn ihm sagen, wann er essen, trinken und wieder damit aufhören soll. An diesem komplexen Prozess sind Nervenzellen, Signale und Informationswege beteiligt. Bisher ist jedoch wenig darüber bekannt, wie das Gehirn die Bedürfnisse des Körpers auswertet und entsprechend reagiert.

„Durch die Erforschung dieser Prozesse können wir vieles besser verstehen: wie das Gehirn Essen und Trinken emotional bewertet, wie es lernt, sie mit Freude oder Abneigung zu verknüpfen, und wie die neuronale Entwicklung sowohl angeborenes als auch erlerntes Verhalten prägt.“

Rüdiger Klein, Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz

Forschende am Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz konnten nun spezialisierte Gruppen von Nervenzellen identifizieren, die maßgeblich Hunger und Durst steuern. Die Zellen befinden sich in der Amygdala, einer Gehirnregion, die unter anderem Emotionen reguliert. Die Studie, die in Zusammenarbeit mit der Universität Regensburg und der Standford University entstanden ist, wurde in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht.

Die Amygdala als Steuerzentrale für Hunger und Durst

Frühere Untersuchungen hatten bereits gezeigt, dass bestimmte Nervenzellen in der Amygdala positive oder negative Emotionen mit Nahrungsmitteln verknüpfen: Schmackhaftes Essen wird mit angenehmen Gefühlen assoziiert, während ungenießbare Nahrung Ablehnung hervorruft.

Zudem stellten die Wissenschaftler fest, dass eine Manipulation dieser Nervenzellen das Verhalten der Versuchstiere beeinflusst: Mäuse fraßen weiter, selbst wenn sie bereits satt waren oder sich unwohl fühlten. Aufbauend auf diesen Erkenntnissen konnte das Team nun erstmals zwei spezialisierte Gruppen von Nervenzellen in der Amygdala identifizieren.

„Eine dieser Nervenzellgruppen reguliert ausschließlich das Bedürfnis zu trinken. Es ist die erste ‚Durst-Nervenzelle‘, die in der Amygdala identifiziert wurde. Als wir diese Nervenzellen aktivierten, tranken die Mäuse mehr, und als wir ihre Aktivität unterdrückten, tranken sie weniger. – Es gibt also Nervenzellen mit einer bemerkenswerten Spezialisierung für bestimmte Verhaltensweisen und andere, die allgemeinere Aufgaben bei der Ernährung erfüllen.“
Federica Fermani, Erstautorin der Studie

Die neu entdeckten Nervenzellen beeinflussen über verschiedene neuronale Schaltkreise das Bedürfnis nach Essen und Trinken. Die Erkenntnisse werfen ein neues Licht auf die Funktion der Amygdala und könnten künftig zum besseren Verständnis von Essstörungen und Suchterkrankungen beitragen.

Lichtgesteuerte Experimente zur neuronalen Aktivität

Um die Funktionsweise dieser Nervenzellen zu untersuchen, setzte das Team moderne genetische Methoden ein. Dabei wurde etwa die Aktivität der Neuronen in verschiedenen Situationen analysiert, zum Beispiel wenn die Mäuse Hunger oder Durst verspürten, wenn sie gesättigt waren oder genug getrunken hatten. Eine Schlüsselrolle spielte dabei die Optogenetik, eine Technik, bei der lichtempfindliche Proteine genutzt werden, um Nervenzellen gezielt an- oder auszuschalten. So konnte beobachtet werden, wie die Manipulation von Zellen das Verhalten der Tiere beeinflusste.

Zusätzlich nutzten die Wissenschaftler eine innovative Methode zur Kartierung neuronaler Informationswege. Dadurch konnten sie die Herkunft der Signale bestimmen und Verbindungen von Nervenzellen zu anderen Hirnregionen nachverfolgen. Es stellte sich heraus, dass die Hunger- und Durstneuronen mit Bereichen kommunizieren, die sensorische Informationen über Nahrung und Flüssigkeit verarbeiten, wie dem sogenannten parabrachialen Komplex.

Emotionale Einflüsse auf das Essverhalten

Ein weiteres Experiment untersuchte den Einfluss von Geschmack auf das Trinkverhalten der Mäuse. Durch die gezielte Stimulation von Nervenzellen in der Amygdala konnte das Forschungsteam die Präferenzen der Tiere verändern: Ein zuvor abgelehntes Getränk wurde zum neuen Favoriten. Das verdeutlicht, wie eng Emotionen mit der Nahrungsaufnahme verknüpft sind – ein Mechanismus, der auch für Menschen von Bedeutung sein könnte.

„Grundlegende Triebe wie Durst und Hunger sorgen dafür, dass wir zur richtigen Zeit essen und trinken – die Grundvoraussetzung dafür, dass unser Körper die überlebensnotwendige Flüssigkeit und Nahrung erhält. Dieselben neuronalen Schaltkreise können aber auch zu Über- oder Unterernährung beitragen, je nachdem, auf welche Signale sie im Gehirn treffen.“
Rüdiger Klein, Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz

Diese Forschungsergebnisse werfen zahlreiche neue Fragen auf, zum Beispiel danach, wie das Gehirn entscheidet, wann genug gegessen oder getrunken wurde oder wie konkurrierende Bedürfnisse ausbalanciert werden. Insbesondere die Rolle bei Erkrankungen wie Adipositas, Magersucht oder Alkoholabhängigkeit ist für die Forschung von großem Interesse, da durch sie neue Therapien ermöglicht werden.

Quellenhinweis:

Fermani, F., Chang, S., Mastrodicasa, Y., Peters, C., Gaitanos, L., Alcala Morales, P. L., Ramakrishnan, C., Deisseroth, K., & Klein, R. (2025): Food and water intake are regulated by distinct central amygdala circuits revealed using intersectional genetics. Nature Communications.

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