Antarktisches Wasserrätsel: So beeinflussen geheimnisvolle Ströme unter dem Eis die Eisschmelze
Beeinflussen unterirdische Flutereignisse das Abschmelzen des antarktischen Eises? Dieser Frage ging nun ein internationales Forschungsteam in der Westantarktis nach – und kam dabei zu überraschenden Ergebnissen.

Tief verborgen unter dem kilometerdicken Eis der Antarktis liegt ein bislang kaum erforschtes Netzwerk aus Seen und Wasserläufen. Erstmals ist es nun einem internationalen Forschungsteam gelungen, einen der subglazialen Wasserströme zu untersuchen. Im Zentrum der Studie steht der Kamb-Eisstrom, ein mächtiger Gletscher in der Westantarktis.
Im Herbst 2021 machte sich ein internationales Team der neuseeländischen „Antarctic Science Platform“ auf den Weg zum Kamb-Gletscher. Von der Scott-Forschungsstation an der Küste reiste das Team rund 1200 Kilometer über das Eis in den entlegenen Süden.
Dort errichteten die Wissenschaftler auf dem Eisstrom Kamb eine temporäre Forschungsstation mit eigener Landebahn und Zelten für 26 Personen. Dank der günstigen Bedingungen des antarktischen Sommers mit 24 Stunden Tageslicht und vergleichsweise milden Temperaturen von –10 °C konnten dort Heißwasserbohrungen durchgeführt werden.
Heißwasserbohrungen im antarktischen Eis
Mithilfe von 80 Grad heißem Wasser und einer Hochdruckdüse haben die Forschenden ein Bohrloch mit 30 Zentimetern Durchmesser durch die 500 Meter dicke Eisschicht bis zum darunterliegenden Gestein geschmolzen.
– Expeditionsleiter Huw Horgan, ETH Zürich und Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL).
Erstmals konnten die Wissenschaftler der ETH Zürich einen subglazialen Wasserstrom direkt beobachten, der unter dem Eis in Richtung Ozean fließt. Zwar war bereits bekannt, dass es unter dem antarktischen Eisschild zahlreiche Seen gibt, doch konkrete Daten über die Wasserbewegungen in diesen Tiefen haben bislang gefehlt.

Mit modernen Messinstrumenten wurden die Eigenschaften des Wasserstroms wie Temperatur, Salzgehalt und Sedimentanteil untersucht. Mit einem Echolot konnten die Wissenschaftler die Größe des Wasserkanals vermessen, etwa 100 mal 200 Meter.
Der Großteil des Wassers stammt aus dem Ozean; lediglich ein Bruchteil ist Süßwasser, das aus der Tiefe des Gletschers nachfließt. „Diese Wassermenge ist viel kleiner als das, was uns die bestehenden Modelle vorhergesagt hatten“, erklärt Expeditionsleiter Huw Horgan von der ETH Zürich und der Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL).
Darüber hinaus war auch das zeitliche Verhalten des Stroms überraschend, da der subglaziale Fluss nicht kontinuierlich fließt, sondern offenbar durch periodische Flutereignisse gespeist wird.
Die Forschenden vermuten, dass unterirdische Seen im Inneren der Antarktis sich über Jahre hinweg mit Schmelzwasser füllen und dann plötzlich entleeren. „Wenn sie sich entleeren, ergießt sich eine Wasserflut in Richtung Meer“, so Horgan. Sedimentproben aus dem Untergrund deuten darauf hin, dass solche Ereignisse etwa alle zehn Jahre auftreten.
Für die Klimaforschung ist die Studie wichtig, weil die subglazialen Wasserströme das Schmelzverhalten des Schelfeises beeinflussen – und damit auch den globalen Meeresspiegel. Schelfeise wie das Ross-Schelfeis wirken wie Barrieren, die verzögern, dass Gletscherströme ins Meer abfließen. Schmelzen sie, beschleunigt sich der Eisverlust im Inneren des Kontinents.
– Expeditionsleiter Huw Horgan, ETH Zürich und WSL
Im südlichen Sommer 2025/2026 wollen Horgan und sein Team erneut in die Antarktis aufbrechen, um weitere Daten zu sammeln, vor allem über wärmere Klimaperioden.
Quellenhinweis:
Horgan, H. J., Stewart, C., Stevens, C. et al. (2025): A West Antarctic grounding-zone environment shaped by episodic water flow. Nature Geoscience.